LESEPROBE<
Serena Vitale, Puschkins Knopf, Frankfurt 1997, S. Fischer Der Chouan, S. 16-17: „Baron d’Anthès – dreimal verflucht sei sein Name“, schrieb 1842, fünf Jahre nach Puschkins Tod, Nikolaj Michailowitsch Smirnow. Seither ist jener Name wohl dreitausendmal, zehntausendmal verflucht worden, erlangte dieselbe Bedeutung wie Blasphemie und Gottesmord. Für immer gebrandmarkt, erscheint er im Personenregister als „D’Anthès Georges Charles, Baron … Mörder von Puschkin, Adoptivsohn von Jacob van Heeckeren“ – wobei das Wort „Mörder“ wie ein Beruf oder ein Titel klingt. Und so ist er für alle Zeit in den einen Augenblick gebannt, der den Fluch Russlands über ihn brachte, erstarrt in der Gebärde des Schießenden […] Der Köder, mit dem der Tod Puschkin in sein düsteres Reich lockte, war ein schöner Jüngling, lebenslustig, leutselig, unbefangen – ein Glückskind. Mit seiner hochgewachsenen, athletischen Gestalt, dem blonden, welligen Haar, den weichen Zügen, dem Schnurrbart und den blauen Augen eroberte Georges d’Anthès sich die Herzen im Sturm. Jeder mochte ihn, überall war er willkommen. Auf Abendgesellschaften hatte er alle Hände voll zu tun: Er hofierte die gefeierten Petersburger Schönheiten, belustigte die soldatische Jugend mit Anekdötchen aus der Kaserne und gewagten Witzen, schmeichelte mamans und tantes mit wohlgeübten Komplimenten, begegnete mit gebührender Achtung, aber ohne seinem heiteren Wesen Gewalt anzutun, Würdenträgern, Staatsmännern, Diplomaten, hohen Offizieren und Mitgliedern der kaiserlichen Familie. Sobald die ersten Noten der Polonaise erklangen, ging er zum Angriff über. Er warf sich mit Leidenschaft in den Tanz, mit einer Art trunkener Begeisterung, nicht etwa wie die gleichgültigen Dandys, die ihre Füße träge über den Tanzboden schleiften, als hätten sie eine lästige Pflicht zu erfüllen: Bei ihm war jeder einzelne Muskel gespannt, wenn er aufstampfte, trafen seine Absätze laut schallend auf das Parkett, und bei den entrechats hoben seine Beine sich mühelos vom Boden. Er war keiner jener ultra-fashionables, die erst spät auf einem Fest zu erscheinen pflegten, nur um es alsbald wieder zu verlassen, gar noch vor der Mazurka, dem berauschenden Höhepunkt einer jeden Ballnacht, dem magischen Moment für manch ein verliebtes Stelldichein: Er verabschiedete sich erst – erhitzt, rotgesichtig und erschöpft – nach dem cotillon und hatte noch immer ausreichend Kraft für ein letztes Wortspiel oder einen jener schmachtenden Blicke, die die Fächer schneller schlagen ließen und bis zum Morgengrauen die in rosa Maroquin gebundenen Tagebücher mit Seufzern und Sehnsüchten füllten. Dieser emsige Kavalier bemühte sich nach Kräften, alle Damen zufriedenzustellen: Er tanzte nicht etwa nur mit den hübschesten oder reichsten heiratsfähigen Mädchen, sondern scheute sich nicht, auch betagte Gattinnen ruhmreicher Veteranen mit Inbrunst in seinen Spezialistenarmen herumzuwirbeln; er wusste zu gefallen und zu schmeicheln und hofierte die Damen mit Ausdauer und Leidenschaft, vor allem die verheirateten, und von den verheirateten bevorzugt diejenigen mit großzügiger Moral, da er bei ihnen beharrlicher und ungestümer zu Werke gehen und mit den gewagteren Witzen aus seinem schier unerschöpflichen galanten Repertoire prahlen konnte, ohne ein Donnerwetter schamhafter Entrüstung auszulösen. Niemand sah ihn jemals traurig oder verdrossen. […] © 1997 S.Fischer Verlag GmbH Frankfurt, alle Rechte, insbesondere auch die Nutzung für Text- und Datamining im Sinne von § 44b UrhG, vorbehalten