LESEPROBE<
Mary Roach, Bonk. Alles über Sex – von der Wissenschaft erforscht, Frankfurt 2009, Fischer Taschenbuch Vorspiel In einem Raum sitzt ein Mann und traktiert seine Kniescheiben. Wir schreiben das Jahr 1983 und befinden uns auf dem Gelände der University of California in Los Angeles. Besagter Mann, eine Testperson, war angewiesen worden, seine Tätigkeit vier Minuten lang fortzusetzen. Anschließend, hieß es, dürfe er seine Hose wieder anziehen, sich auszahlen lassen und nach Hause gehen. Beim Abendessen hätte er eine amüsante Geschichte zu erzählen. Der Versuch befasste sich mit der sexuellen Erregung des Menschen. Das Kneten der Kniescheibe wirkt nicht stimulierend, jedenfalls nicht auf diesem Planeten, was der Mann mit seinem Tun unter Beweis stellen sollte: Es war die Kontrollhandlung. (Davor hatte er den üblicheren Verdächtigen traktiert, während die Forscher ihre wie auch immer gearteten Messungen anstellten.) … Kapitel drei: Die Prinzessin und ihre Erbse Die Frau, die ihre Klitoris versetzen ließ, und andere Grübeleien über den Orgasmus Es war einmal eine Prinzessin mit Namen Marie. Sie hatte langes, lockiges Haar und liebliche braune Augen. Und ihre Klitoris war drei Zentimeter von der Vagina entfernt. Letzteres war für die Prinzessin ein sehr betrüblicher Umstand. Sie kam beim Geschlechtsverkehr partout nicht zum Orgasmus und war überzeugt, der Grund dafür sei die Abseitsposition ihrer Klitoris. Prinzessin Marie Bonaparte – ihr Urgroßonkel war Napoleon – war eine leidenschaftliche Frau mit fordernder Libido. Trotzdem fand sie beim Geschlechtsverkehr keine Erfüllung. Eine Teilschuld traf wohl ihren Ehemann, Prinz Georg von Griechenland und latent schwul*, der sie in der Hochzeitsnacht, wie sie in ihrem Tagebuch vermerkte, „in einer kurzen, groben Geste, als müsse er sich dazu zwingen“, genommen… und sich anschließend mit den Worten entschuldigt habe: „Mir gefällt das genauso wenig wie dir. Aber wenn wir Kinder haben wollen, müssen wir es tun.“ Doch konnte man die Unerfülltheit der Prinzessin nicht allein an den gezwirbelten Schnurrbartspitzen von Prinz Georg aufhängen, zumal sie die Begegnung mit dem französischen Premierminister ebenfalls kaltließ. Desgleichen der Geschlechtsverkehr mit dem Adjutanten ihres Gatten und mit drei weiteren Liebhabern, die sie sich in der Ehe nahm. *Marie war sich der Neigungen ihres Prinzen nicht bewusst gewesen, als sie ihn geheiratet hatte. Erst die Bilder von griechischen Athleten, mit denen Georg die Wände seines Ankleidezimmers schmückte, regten in ihr einen leisen Verdacht, der sich erhärtete, als Georg sich bei den Panhellenischen Spielen als Kampfrichter erbot. Marie hatte vor kurzem ihren ersten Sohn geboren und beklagte sich in ihrem Tagebuch, dass ihr Gatte Georg, während sie den ganzen Tag zu Hause sitze, um „ihren Peter nuckeln zu lassen“, den ganzen Tag außer Hause sei, um „seinen Peter nuckeln zu lassen“. Kapitel sieben: Die Hodenpusher Zwei sind gut, wären drei nicht besser? Wenn man zweiundachtzig ist und vierundsechzig Ehefrauen hat, braucht man jede Hilfe, die man kriegen kann. Für Kamil Pascha, einen Wesir im Osmanischen Reich, kam die Hilfe in Form einer nahrhaften Suppe. Die Brühe, die der Pascha täglich schlürfte, bestand nämlich aus dem eingeweichten Gehänge kräftiger junger Huftiere. Die Vorliebe des Wesirs für das scheußliche Mahl kam Skevos Zervos zu Ohren, dem Geburtshelfer im Harem. Zervos hatte die Eunuchenschar des Paschas beobachtet und festgestellt, dass Männer, deren Hoden außer Gefecht gesetzt waren, eine Verweiblichung erfuhren. Das Geheimnis lebenslanger Virilität müsse demnach in den Hoden verborgen sein, überlegte er. Zervos begann zu experimentieren. Er versuchte, alternde Hasen und Hunde zu verjüngen, indem er in ihre geriatrischen Geschlechtsdrüsen Hodengewebe von jüngeren Artgenossen verpflanzte. 1909 publizierte er einen Artikel mit dem zündenden Titel: „Kuriose Erfahrungen mit den Geschlechtsteilen des Mannes“. Er wollte die Methode unters Volk bringen, damit sie am Ende allen Männern zugute käme. Der Pascha war nicht amüsiert. Er schalt Zervos einen Intriganten, der seinen Eunuchen die Männlichkeit wiedergeben wolle. Zervos, seines Lebens nicht mehr sicher, flüchtete nach Athen. Dort verpflanzte er 1910 zum ersten und mitnichten letzten Mal einem Mann Gewebestreifen aus Affenhoden. Das Verfahren, versprach Zervos, sei ein heilsames Mittel gegen Impotenz und Senilität. Die Sache sprach sich herum. 1916 gehörte die Hodentransplantation schon zum Alltag. Im ersten von zwei Artikeln im JAMA beschrieb G. Frank Lydston, Professor für urogenitale Chirurgie am College of Physicians and Surgeons in Chicago, die günstigen Auswirkungen auf die Befindlichkeit eines Mannes, wenn diesem zu seinen bereits vorhandenen Hoden noch zusätzlich Gewebe aus einem dritten Hoden - menschlich in diesem Fall – ins Skrotum implantiert würde. Die meisten Männer berichteten von einer Steigerung der „sexuellen Ausdauer“ sowie von „kräftigeren, dauerhafteren“ Erektionen; überdies beseitigten die Hormone aus der Hilfsdrüse nach Lydstons Ansicht auch viele altersbedingte Beschwerden wie Bluthochdruck, Senilität und Arteriosklerose. An einer Stelle beschreibt er, wie er einen zweiundzwanzigjährigen Burschen unter anderem davon kuriert hatte, „unzusammenhängende, ausschweifende Abhandlungen über Architektur niederzuschreiben“. Dem fremden Hoden hielt offenbar kein noch so schweres Leiden stand. © 2009 S.Fischer Verlag GmbH Frankfurt, alle Rechte, insbesondere auch die Nutzung für Text- und Datamining im Sinne von § 44b UrhG, vorbehalten